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Der Homo Promptus

  • bertrand985
  • 30. Juli
  • 5 Min. Lesezeit

Vor einiger Zeit habe ich mich mit guten Freunden bei einem Essen über die Vor- und Nachteile der künstlichen Intelligenz (KI) unterhalten, wie das heutzutage wahrscheinlich öfters in unserer Gesellschaft vorkommt. Dabei gibt es auch, wie immer bei neuen Technologien, meistens zwei grundsätzliche Standpunkte: Die Technik wird uns umbringen oder erlösen! Überspitzt formuliert, natürlich. Etwas subtiler geht es bei den Bedenken um Kontrolle, Jobverlust, Abhängigkeiten, Authentizität und andere Sorgen. Auf der positiven Seite sieht man enorme Möglichkeiten bei Analysen, Mustererkennung, Hilfe bei langweiligen und monotonen Aufgaben, Wissensaufbereitung und vieles mehr.

 

Mein Standpunkt ist eher auf der optimistischen Seite. Nicht zuletzt auch durch meinen jetzigen Job, der sich eher im Bereich eLearning und Digital Marketing bewegt. Ganz ehrlich: Da ich kein gelernter Marketing-Fachmann bin, sondern eher aus dem System Engineering in der IT komme, könnte ich meinen Job ohne KI nicht so gut machen, wie das der Fall ist. Ich bin immer wieder erstaunt, wie geschliffen und professionell Texte mit ChatGPT umformuliert werden, oder wie ich von der Idee eines Designs oder Logos nur wenige Klicks von deren überraschenden Realisierung entfernt bin. Und meist ist das Ergebnis besser als erwartet.

 

Als Musiker ist meine Einstellung etwas reservierter, aber immer noch positiv. Viele Songs heutzutage sind bereits KI-generiert und fast niemand merkt es oder kümmert sich darum. Musik ist ja schon seit einiger Zeit eher nur Hintergrund-Beschallung als Gegenstand aktiven Zuhörens. In meiner Jugend (Achtung: Boomer Moment) habe ich mich vor den Plattenspieler gesetzt und ein Album rauf und runter gedudelt, bis ich dann wieder etwas Taschengeld hatte und das nächste Album stolz nach Hause trug, dass dann wieder rauf und runter gedudelt wurde.

Trotzdem denke ich, dass es immer Menschen geben wird, die den Drang verspüren, sich musikalisch auf Instrumenten jedweder Art auszudrücken und es auch Menschen geben wird, die sich diese Musik, die aus Emotionen, Erfahrungen und innovativen Ideen heraus entsteht, anhören wollen.

 

Für mich im Studio hoffe ich, dass KI die Aufgaben übernimmt, um die ich mich nicht besonders reisse: Spuren zu kolorieren und benennen, Störgeräusche zu entfernen, Level angleichen, Routings zu erstellen, Dialoge zu säubern etc. Kurz: alles Arbeiten, die mich etwas langweilen und Zeit fressen. Also mein persönlicher Studio-Assistent, der sich heutzutage sowieso keiner mehr leisten kann.

 

Was ich mir persönlich nicht nehmen lassen möchte ist das Mischen eines Songs selber, da ich es als kreative Arbeit verstehe, die ich gerne selber in die Hand nehme. Das liegt aber auch an meinem studiotechnischen Background als Audio Engineer. Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Musiker, der nicht viel mit Technik am Hut hat, hier eher die KI ans Mischpult lässt und das ist auch völlig OK so.

 

Soweit zur (langatmigen) Einleitung. Durch das oben erwähnte Gespräch kam mir aber auch ein Gedankenspiel in den Sinn, welches ich hier durchgehen möchte.

 

Was wäre, wenn ich in vielleicht nicht allzu ferner Zukunft wieder ein Junge wäre, der vielleicht so um die 14-15 Jahre  alt ist und sich in einem Leben befindet, in dem KI die selbstverständlichste Sache der Welt wäre. Wie würde er damit umgehen? Was würde er für eine Ausbildung haben? Welchen Job möchte er machen?

 

Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie so ein normaler Tag aussehen würde. Nehmen wir z.B. die Schule. Warum sollte ich noch Grundlagen in Mathe, Grammatik, Fremdsprachen, Physik, Chemie usw. lernen, wenn alles nur einen Prompt weit entfernt ist? Auf jede Frage, die man mir stellt, gibt es ein kurzes Tippen und ich weiss die Antwort. Wer steckt noch die berühmten 10'000 Stunden Arbeit in die Erlernung einer Fertigkeit, wenn das Ergebnis aus einem Prompt qualitativ gleich gut oder meist sogar noch besser ist, als mein geistiger Output?

 

Stellen wir uns mal ein paar Fächer oder Aufgaben vor, die ich in meiner Jugend in der Schule hatte und wie das aussehen könnte:


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Mir geht es hier nicht darum aufzuzeigen, ob Lernen an sich ein überholtes Konzept ist, sondern um die fundamentale Frage, mit welcher Motivation sollte ich als 15 jähriger, meist recht fauler Schüler der Zukunft das Erlernen von Fakten und Fähigkeiten angehen? Wie bringe ich als Elternteil meinem Kind das Lernen bei, wenn es künftig vor allem nur noch wissen muss, wie man einen Prompt formuliert? Und auch das wird in Zukunft, da bin ich mir sicher, per Stimmeingabe sehr einfach möglich sein, ohne Kurse in kryptischem Prompting absolvieren zu müssen.

 

Verdummen wir als Menschheit bis zu einem gewissen Grad? Was passiert, wenn eines Tages die KI aus irgendeinem Grund (ja, auch Zombie-Apokalypse 😉) verschwindet? Lässt das eine Gesellschaft zurück, die kaum noch 1 und 1 zusammenzählen, geschweige denn Auto fahren, die nächste Stadt ohne Navi finden oder etwas reparieren kann? Die Abhängigkeit von der Technologie ist bereits jetzt hoch und wird sich noch gewaltig steigern. Ich bin jedoch auch überzeugt, dass wir als Menschheit mit Technologie viele Probleme, die uns jetzt beschäftigen, lösen können, da bin ich Technokrat. Die naive Idee, das Rad zurück zu drehen und wie eine Schlange nur auf die «Nachhaltigkeit» fixiert zu sein, kann ich schlichtweg nicht nachvollziehen. Allein der Nahrungsmittelbedarf wird auch in Zukunft enorm steigen und ohne moderne Agrar-Technologie wird das nicht zu schaffen sein. Oder wie der Volkspruch so schön sagt: Bio muss man sich leisten können.

 

So viele Fragen, so wenig Antworten. Ich für meinen Teil merke bereits jetzt schon, dass ich fauler werde in bestimmten Dingen und dass die KI bereits abfärbt. Jobmässig habe ich das bereits erwähnt, da wird es ohne KI für mich schwierig, in so kurzer Zeit gute Ergebnisse zu liefern. Ich sage nicht, dass ich keinen gescheiten Text mehr zusammenkriege, aber es dauert einfach einiges länger. Und als Nicht-Grafiker würden meine Illustrationen bestenfalls als hobby-mässig durchgehen. Aber auch im privaten Bereich frage ich immer öfters sofort die KI, um bei Problemen eine Lösung zu finden anstatt sich selber zu helfen. Und ich habe privat eigentlich meist keinen Zeitdruck, aber es ist ja so ver---flixt bequem…

 

Also lassen wir uns überraschen, was die KI-Zukunft noch so alles bringt. Aber wünschenswerterweise ohne es gleich zu verteufeln oder in den Himmel zu heben. Gesunder Menschenverstand soll einiges der schwierigeren Gebiete sein, die KI nachahmen kann, also besteht noch Hoffnung. Und wer seine Prompts immer mit «Bitte» und «Danke» gestaltet, um sich bei der KI einzuschmeicheln, wenn sie dann doch mal die Weltherrschaft übernehmen sollte, dem sei gesagt: Das nützt nichts. Mitleid wird das erste sein, dass eine allmächtige KI sofort abschafft.

*Dieser Text wurde übrigens, Ehrenwort, nicht von KI überarbeitet. Einerseits, weil das etwas gar faul wäre und ich als Old-Schooler doch noch etwas Stolz auf meine Arbeit sein will, andererseits habe ich aber auch etwas Angst davor, dass die Überarbeitung um einiges eleganter formuliert sein wird und ich mich dann ärgere, weil mir wahrscheinlich die KI-Version besser gefällt. Mmhhh…

 

PS: Ja, die Grafik ist KI! ich sag’s ja, bin ein lausiger Designer.

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Kreativität in all ihren Facetten begeistert mich schon seit langem und motiviert mich immer wieder, spannende frische Projekte zu realisieren und (für mich) neuartiges, kreatives Territorium zu erforschen.

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