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Ist Michael Jackson’s Musik «bad»?

  • bertrand985
  • 12. Dez. 2021
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 18. Feb. 2023

Letzthin fuhr ich mit dem Zug nach Zürich und konnte mithören, was eine Bankreihe weiter vorne diskutiert wurde. Alles konnte ich nicht verstehen, aber durch die Sprachfetzen hindurch konnte ich doch einiges aufschnappen. Es ging um das Thema Michael Jackson, und obwohl ich den genauen Wortlaut nicht mehr in Erinnerung habe, lautete die eine Aussage so in etwa wie «Nachdem was man da alles gehört hat mit den Kindern und so, höre ich mir keine Musik mehr von dem an». Das gab mir einiges zu denken und so kam ich auf dieses Thema. Dabei stellen sich mir an dieser Stelle viele Fragen, auf die ich keine Antworten habe und somit auch mit keinem Fazit aufwarten kann.


Die Frage im Titel kann umformuliert auch so gestellt werden: Ist die Musik von Michael Jackson, angesichts der bekannten Vorwürfe gegen ihn (die mit einem Vergleich und Freispruch endeten[1]), nicht mehr hörbar? Darf oder muss man nun seine CD’s entsorgen? Den Radio ausschalten oder den Sender wechseln, wenn ein Song von ihm gespielt wird?

Sind die Anerkennung und Schätzung eines musikalischen Werks immer auch mit dem Lebenswandel, den moralischen Ansichten und den generellen Einstellungen eines Künstlers verbunden? Und wird ein zuvor gefeiertes Werk plötzlich wertlos und unspielbar, weil im Nachhinein bekannt wurde, dass der Komponist gewisse Schwächen gezeigt hat, die nicht dem moralischen Idealbild entsprechen?


Nur um eines klarzustellen: Es geht mir hier nicht um eine Verharmlosung oder Relativierung von kriminellen Handlungen, wer Verbrechen gegen das Gesetz begeht, muss bestraft werden. Aber muss sein künstlerisches Schaffen dann auch mit bestraft und geächtet werden? Machen wir mal ein, zugegebenermassen, krasses Beispiel. Nehmen wir an, Beethoven wäre ein Massenmörder gewesen und dies wäre erst vor ein paar Jahren entdeckt worden. Wären nun all seine Werke, seine Sinfonien, Klavierstücke und Sonaten plötzlich nichts mehr wert, nicht mehr spielbar und abartig? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich dann keine Musik mehr von Beethoven hören würde, aber ich würde eventuell diesen schalen Beigeschmack seiner mörderischen Taten doch auch spüren, denke ich, …oder nicht? Und wäre es anders, wenn er anstatt eines Massenmörders ein Bankräuber gewesen wäre?


Natürlich kann man einen Aspekt dabei nicht aus den Augen lassen, den finanziellen nämlich. Wenn man durch den Erwerb einer CD (Streams lassen wir mal aus) dem noch lebenden Komponisten die Ausübung von kriminellen Tätigkeiten mitfinanziert, ist eine Grenze überschritten. Bei den meisten Klassikern ist dies ja nicht mehr der Fall, das mit dem lebenden, meine ich.


In der Welt der Klassik gibt es dieses Dilemma zwischen Lebenswandel und Output eines Künstlers ja schon lange. Richard Wagner wurde schon zu Lebzeiten mit Antisemitismus in Verbindung gebracht¹, und auch das Dritte Reich trug mit seiner Begeisterung für ihn zu einem bis heute gespannten Verhältnis zu seinen Werken bei. Tschaikowski’s Homosexualität¹, wäre diese zu seinen Lebzeiten bekannt geworden, hätte wohl als klassischer «Career ending move» bezeichnet werden können. Heute ist dies wohl kein Thema mehr, wenn es um die Wertschätzung seiner Werke geht. Was uns zeigt, dass moralische Ansichten sich mit der Zeit wandeln und dass dadurch die Anerkennung oder Ablehnung künstlerischer Werke aufgrund moralischer Fragen auch ändern können, was die Sache auch nicht leichter macht.


Seltsamerweise ist diese enge Bindung von Anerkennung/Wertschätzung und (moralischer) Lebenswandel in anderen Bereichen nicht so präsent. Nehmen wir mal an, Alexander Fleming, der Entdecker des Penicillin¹, wäre zu seinen Lebzeiten dem Konsum von Drogen nicht abgeneigt gewesen (reines Gedankenexperiment meinerseits). Ich glaube nicht, dass man auf einer Notfallstation schon mal den folgenden Satz gehört hat: « Nein, bitte kein Antibiotika, ich habe gehört der Fleming war ein Junkie und darum will ich das Zeug nicht…»


Oder nehmen wir an, Walter Linderer, welcher den Airbag 1951 als Patent anmeldete¹, wäre damals in den 40ern wie so viele Mitglied der NSDAP gewesen (wiederum reines Gedankenspiel). Bezweifle sehr, dass man heute beim Autohändler, während man die Liste der Extras mit dem Kunden durchgeht, den Wunsch hört: «Lassen Sie den Airbag aber weg, der Linderer war ja ein Nazi und von dem will ich kein Zeugs in meinem neuen Auto…»


Warum dieses Zusammenspiel von Wertschätzung und Ablehnung in Zusammenhang mit Künstlern grösser gewichtet wird, ist mir nicht klar. Wahrscheinlich geht es hier mehr um Emotionen und Personenkult, also nicht nur um das Werk, sondern um Menschen, die wir kennen und bewundern und von denen wir dann auf die eine oder andere Art enttäuscht werden, weil sie unserem moralischen Weltbild nicht (mehr) entsprechen oder eben wirklich kriminelle Handlungen begehen. Interessant ist das mit den kriminellen Handlungen ja beim Gangsta-Rap. Dort führt eine wirkliche kriminelle Handlung eben nicht zu einer Ächtung eines Künstlers, sondern, im Gegenteil, zu einer Aufwertung. Auch bei vielen anderen Musikgenres ist das Image des Outlaws, des Gesetzesbrechers (ob echt oder nicht) für den Künstler eher ein Plus.


Als Schlussgedanke möchte ich die Sache mal etwas ausdehnen. Falls wir ab jetzt nur noch Musik hören, Bücher lesen, Filme schauen und Bilder bewundern, die nur noch von moralisch einwandfreien Künstlern (lebend oder verstorben) geschaffen wurden, wird sich unser Leben ziemlich sicher bald sehr armselig und einseitig anfühlen. Klingt irgendwie nach Cancel-culture, und das wollen wir ja dann doch nicht. Oder?


Ich werde jedenfalls weiterhin M.J’s Musik hören, weniger die von Wagner, aber das liegt an meinem Musikgeschmack und nicht an seiner Vita ;-)

[1] Alle Wikipedia

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Kreativität in all ihren Facetten begeistert mich schon seit langem und motiviert mich immer wieder, spannende frische Projekte zu realisieren und (für mich) neuartiges, kreatives Territorium zu erforschen.

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