The soundtrack of my life
- bertrand985
- 26. Sept. 2021
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Dez. 2021
Kennt ihr dieses Gefühl? Ihr sitzt im Auto oder irgendwo Zuhause, das Radio läuft, der nächste Song wird angespielt und urplötzlich seid ihr an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit in eurer Vergangenheit. Ihr nehmt plötzlich Gefühle, Stimmungen, ja sogar Gerüche war, die ihr schon lange nicht mehr in Erinnerung hattet und vergessen geglaubt waren. Unbestimmte Emotionen kommen hoch und ihr seht Orte aus eurer Kind- und Jugendzeit vor eurem geistigen Auge, mal schemenhafter, mal klarer.
Wenn ich bestimmte Songs aus der Vergangenheit höre, habe ich oft mein kleines Zimmer in unserem Elternhaus vor Augen, Das Zimmer sollte eigentlich ein Bad werden, dementsprechend klein und eher schmal war es. Der Ausbau liess dann auf sich warten, mein Vater dachte wohl, ein WC und Bad für sieben Personen sei völlig ausreichend, und das war es dann schlussendlich auch (obwohl mir meine beiden Schwestern und meine Mutter wahrscheinlich widersprechen würden). Das Bett war auf einer Höhe von circa 1 Meter montiert, damit darunter zusätzlicher Stauraum geschaffen werden konnte. Eigentlich ganz clever, wenn auch manchmal etwas gefährlich, wenn man schlaftrunken aus dem Bett steigen wollte und mal wieder die Höhe vergass, in der man sich befand.
Ich hatte auf der Seite ein Regal, auf dem die Stereoanlage stand. Ein Plattenspieler und ein Radiowecker waren mein ganzer audiophiler Stolz. Jeden Freitag startete auf Radio DRS der Nachtexpress und brachte mir unzählige erinnerungswürdige Songs in mein kleines Reich, die bis heute dieses unbestimmte Gefühl von jugendlicher Geborgenheit und Simplizität in mir wachrufen.
Es gibt aber auch eine Reihe Songs, die konkreter einem Ort oder Ereignis zugeordnet werden können und deshalb möchte ich hier eine kleine Auswahl von für mich wichtigen Songs aufführen, die mich schon lange begleiten und erinnern lassen, was mal war.
Heart – These Dreams: Ich sitze in einem Café, welches der damalige Jugendtreff in unserem Dorf war. Es gab eine Jukebox, ein Videospiel-Tisch und ein freundliches Wirte-Paar, welches sich über die Jahre geduldig und halbwegs verständnisvoll mit der damaligen Jugend herumschlug. Fast immer wurde kalte Schokolade und Salami-Sandwiches (mit Weggli) bestellt, für Kaffee war man noch zu jung und Alkohol gab es nicht. Das Videospiel, welches dort stand, war lange Zeit Donkey Kong und verschlang so einiges an mühsam zusammengekratztem Kleingeld. Es gab viele Songs in der Jukebox, aber These Dreams von Heart war etwas Besonderes, wahrscheinlich auch, weil er etwas aus der Reihe fiel gegenüber dem anderen Angebot. Ich spielte den Song dutzende Male und kann ihn auch heute noch geniessen.
The Doors – Riders on the Storm: Mein damals bester Freund (man verlor sich leider später aus den Augen) hatte zwei ältere Brüder, die musikgeschmacklich schon ein paar Stufen höher als wir waren. Indem sie uns ihre LP-Sammlung durchwühlen liessen, öffneten sie uns eine Türe zu neuen, interessanten, ungewohnten und faszinierenden Klangwelten. Neben anderen Bands wie The Police, Men at Work oder Neil Young blieb Riders on the Storm von The Doors tief in meinem Musikgedächtnis hängen und gerade bei Gewitter höre ich immer wieder mal das Intro dieses Songs in meinem Kopf, schaue hoch in die Wolken und schicke Jim Morrison einen Gruss hoch.
The Police – Every little thing she does is magic: Szenenwechsel, es ist Disco-Time in einem kleinen, stickigen Saal im Pestalozzidorf in einem Nachbarort. Die mobile Tonanlage (die ich später mal für mein erstes Studio übernehmen sollte) wird hereingewuchtet und schon geht’s los. Dutzende der 12-16-jährigen Teenager strömen herein und fangen ungelenk an, sich zu der Musik zu bewegen. Viele Songs später, von ELO über KISS bis AC/DC, wird dieser Song angespielt und Boom!, der Saal explodiert. Ich weiss auch nicht genau, wieso dieser Song für mich der geistige Anker zu dieser Szene ist, aber irgendwie war diese spezielle Atmosphäre, die entstand als dieser Song gespielt wurde etwas, das mich sehr beeindruckt hat.
AC / DC – Hells Bells: Zusammen mit meinem (leider inzwischen verstorbenen) Cousin sitze ich in seinem Zimmer und wir packen das gerade frisch eingetroffene Werk aus. Die Nadel setzt auf die Platte auf und die ersten Glockenschläge ertönen, was uns zuerst etwas ratlos zurücklässt. Als dann aber die ersten Akkorde durch den Raum schrammeln, fangen wir an zu grinsen, als hätten wir den heiligen Gral gefunden. Der Lautstärkeregler wird fast auf Anschlag geschoben und wir fangen an, wild mit den Köpfen zu nicken, was, wie wir später erfahren sollten, unsere erste Erfahrung im Headbanging war. Ein paar Sekunden später fliegt die Tür auf, die Mutter meines Cousins stürmt mit einer Miene ins Zimmer, die an Erschrecken und ausser-sich-sein erinnert, schreit aus voller Lunge «Stellt diesen unerträglichen Krach ab» und schwindet dann wieder von dannen, stille Flüche ausstossend ob meines schlechten Einflusses auf ihren bis dahin mustergültigen Sohn. Wir blicken ihr nach, schauen uns dann verdattert an und realisieren zeitgleich auf einen Schlag, dass wir den perfekten Song für unsere ab jetzt startende Jugendrevolte gefunden haben, Bingo!!!
ABC – Look of love: Eine Schulkollegin brachte eines Tages dieses Album auf Kassette in die Schule und wollte, dass ich mal rein höre. Natürlich verweigerte ich dies stante pede und erklärte ihr ausschweifend und weitreichend, dass Jungs keine solche Musik hören würden. Schon gar nicht von solchen geschniegelten Lackaffen. Ausser Motörhead, Saxon, Status Quo und AC/DC kam für männliche Teenager fast gar nichts in Frage. Irgendwie kam es dann in einem unbeobachteten Moment trotzdem dazu, dass ich das Album auf meinem Walkman anhörte, Was soll ich sagen, nach mehrmaligen begeisterten Durchläufen musste ich wohl oder übel akzeptieren, dass ein wenig Girlie wohl in jedem Mann steckt ;-)
Louis Armstrong – What a wonderful world: Dieser Song hat eine spezielle, meinem Herzen nahe liegende Bedeutung und es fällt etwas schwer, darüber zu schreiben. Meinem Vater hat dieser Song sehr gefallen, ich sehe ihn in unserem Wohnzimmer stehen, mit geschlossenen Augen, leicht hin und her wiegend, den Umschlag des Albums in der Hand und ganz leise den Text mitsingend. Er sah in dem Moment sehr glücklich und ein wenig der Welt entrückt aus, was ich zu der Zeit nicht so richtig nachvollziehen konnte. Er hat mir über die Jahre jedoch immer wieder mir ungewohnte Musik vorgespielt, meist Klassik oder Jazz, und mir versucht aufzuzeigen, was an diesem Song oder Werk besonders war, wieso es eine bestimmte Emotion auslösen konnte und warum es generell wichtig war, sich damit auseinander zu setzen und sich durch verschiedenste Musik inspirieren zu lassen. Mein Vater starb leider viel zu früh an Krebs, ich war gerade kurz vor 30 und voll mit meinem Leben beschäftigt. Jetzt in meinen Fünfzigern wünsche ich mir oft, wir könnten uns, diesmal auf Augenhöhe, über die verschiedensten Musikstücke unterhalten und herausfinden, warum uns dieses oder jenes Stück besonders packt und begeistert. Inzwischen selbst ein grosser Klassik- und Jazz-Liebhaber kann ich nun viel besser nachvollziehen, was mein Vater damals meinte, als er versuchte mir diese Leidenschaft weiter zu vererben. Dieser Song, der oft in einem glücklichen, entspannten und eher leichtfüssigen Setting, sei es in Film oder Fernsehen, gespielt wird, hinterlässt bei mir schon nach den ersten Klängen einen wehmütigen, traurigen und leicht schmerzenden Eindruck zurück. Auch wenn man zu Lebzeiten die Emotionen zwischen uns nie so wirklich verbal kommunizierte, stellt dieser Song eine der schönsten Erinnerungen an die Gefühle für meinen Vater dar und ich denke, ihm würde es gleich gehen.
Natürlich gibt es noch viele andere Songs, welche über die Jahre durch bestimmte (gute oder weniger gute) Ereignisse einen Platz in der musikalischen Erinnerungsschublade gefunden haben. Jedoch habe ich die Beobachtung gemacht, dass mit den Jahren immer weniger Songs dazugekommen sind, die eine bestimme Erinnerung oder Reaktion auslösen. Vielleicht, weil die Übersättigung an jederzeit verfügbaren und endlos dudelnden Songs, egal wo man sich befindet, schlicht zu gross geworden ist als dass sich das Gehirn noch etwas davon merken könnte. Eventuell war damals in den Jugendjahren aber die Musik noch ein etwas spezielleres, prägenderes und damit weniger vergänglicheres Ereignis gewesen, als dies heute der Fall ist. Wer weiss…
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